BAG, Urteil vom 16.4.2024 – 9 AZR 165/23
Nicht wenige werden diese Situation kennen oder sogar selbst erlebt haben: Im Anschluss an die Geburt eines Kindes werden ein oder zwei Jahre Elternzeit eingeplant und währenddessen reift der Entschluss einer beruflichen Neu- oder Umorientierung, verbunden mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dann stellt sich zumeist die Frage, was dies für noch offenen Urlaub bedeutet, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr verbraucht werden kann. Grundsätzlich verfällt Urlaub nicht, der vor den mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten nicht mehr genommen wurde oder während Mutterschutz und Elternzeit weiter entsteht. Zwar haben Arbeitgeber die Möglichkeit, Erholungsurlaub für jeden vollen Monat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen, soweit nicht auch während der Elternzeit in Teilzeit weiter beim Arbeitgeber gearbeitet wird. Zum einen aber muss dieses Kürzungsrecht auch tatsächlich ausgeübt werden, was oftmals nicht geschieht. Und zum anderen bezieht sich das Kürzungsrecht nur auf den tatsächlichen Urlaubsanspruch, nicht hingegen auf die (finanzielle) Urlaubsabgeltung. Die Kürzung muss vom Arbeitgeber also noch im bestehenden Arbeitsverhältnis erklärt werden.
Kommt es zu einer Urlaubsabgeltung, stellt sich die Frage, wie diese zu berechnen ist und ob sich Verdienstkürzungen infolge der Elternzeit zum Nachteil der arbeitnehmenden Person auswirken. Dies ist, wie das Bundesarbeitsgericht festgehalten hat, nicht der Fall: Vergleichbar mit einer Situation, wie sie beispielsweise bei Kurzarbeit oder Arbeitsausfällen gegeben wäre, zählen auch Abwesenheitszeiten infolge von Elternzeit zu unverschuldeten Arbeitsversäumnissen. Für die Berechnung der Urlaubsabgeltung ist deshalb der gewöhnliche Arbeitsverdienst und nicht etwa die reduzierte Vergütung zugrunde zu legen. Dass sich die arbeitnehmende Person selbst für die Elternzeit entschieden habe, rechtfertige laut dem Bundesarbeitsgericht keinen „Verschuldensvorwurf“, denn schließlich war das Instrument der Elternzeit bewusst geschaffen worden, um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen.
Unser Praxistipp:
Haben Sie Zweifel, ob Ihr Urlaubsabgeltungsanspruch vollständig vergütet wurde? Gerne klären wir dies gemeinsam mit Ihnen. Und Achtung: möglicherweise arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen können unter Umständen ein sehr zeitnahes Verfolgen Ihrer Ansprüche erforderlich machen.
Thomas Haas
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
MEILENSTEIN.Arbeitsrecht