Heutzutage wird für die Entsperrung von Mobiltelefonen vermehrt auf biometrische Authentifizierungen zurückgegriffen, was neue rechtliche Fragen aufwirft. Eine davon betrifft die Zulässigkeit der zwangsweisen Entsperrung eines Mobiltelefons durch das Fingerauflegen eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor durch die Polizei. Bislang haben sich mit der rechtlich heiklen Thematik nur Amts- und Landgerichte auseinandergesetzt. Nunmehr hat auch ein Oberlandesgericht (OLG), das OLG Bremen, hierzu am 8. Januar 2025 (Az. 1 ORs 26/24) Stellung bezogen.
Hintergrund war ein Verfahren gegen einen Mann, der verdächtigt wurde, kinderpornographische Schriften verbreitet zu haben (§ 184b Abs. 1 StGB). Als die Polizei bei der Wohnungsdurchsuchung des Mannes ein Smartphone fand, verweigerte dieser die Entsperrung des Geräts. Daraufhin hielten ihn die Beamten fest und legten seinen Finger zwangsweise auf den Sensor, um das Handy zu entsperren und Zugriff auf die gespeicherten Daten zu erhalten. Der Mann wehrte sich und wurde später durch das Amtsgericht Bremerhaven wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe verurteilt (§ 113 Abs. 1 StGB). Dieses Urteil wurde durch das Landgericht Bremen bestätigt und der Mann legte Revision ein. Nach seiner Auffassung, war seine Handlung gemäß § 113 Abs. 3 StGB nicht strafbar, da die Diensthandlung der Beamten nicht rechtmäßig gewesen sein soll. Die Maßnahme der Beamten soll rechtswidrig gewesen sein, da er nicht verpflichtet sei, an seiner Selbstbelastung mitzuwirken.
Das OLG Bremen entschied jedoch, dass die zwangsweise Entsperrung durch die Beamten rechtmäßig war und verwies auf § 81b Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO), der wie folgt lautet: „(1) Soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden.“
Nach der Auffassung des OLG sei die Vorschrift technikoffen formuliert und erfasse daher auch die Vornahme ähnlicher Maßnahmen, etwa das Auflegen des Fingers auf einen Fingerabdrucksensor. Im Vergleich zur klassischen Abnahme von Fingerabdrücken sei diese Maßnahme sogar weniger eingriffsintensiv, da keine dauerhafte Speicherung der biometrischen Daten erfolge.
Eine Verletzung des auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) zu stützenden Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit (nemo-tenetur-Grundsatz) verneinte das OLG, da dieser Grundsatz nur den Zwang zu aktiver Mitarbeit verbiete, nicht aber den Zwang gegen einen gerichtete Beweisermittlungsmaßnahmen passiv zu erdulden. Ebenfalls einen Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sah das OLG nicht. Zwar liege ein Eingriff vor, dieser sei jedoch nur von geringer Eingriffsintensität und könne daher aufgrund des allgemeinen Gesetzesvorbehalts nach Art. 2 Abs. 1 GG durch § 81b Abs. 1 StPO gerechtfertigt werden.
Soweit mit der zwangsweisen Entsperrung auch in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als besonderer Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingegriffen wurde, sei dies verfassungskonform erfolgt. Zwar gälten für heimliche Zugriffe laut des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs gesteigerte Voraussetzungen an die Rechtfertigung. Es habe sich vorliegend aber nur um einen offenen Zugriff gehandelt.
Die zwangsweise Entsperrung des Mobiltelefons unterliege mithin dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch insoweit sei die Maßnahme der einschreitenden Polizeibeamten rechtmäßig. Sie habe dem legitimen Ziel der weiteren Aufklärung des Tatvorwurfs der Verbreitung kinderpornographischer Schriften gedient. Eine mildere gleich geeignete Maßnahme habe nicht zur Verfügung gestanden, insbesondere hätte die alternative Anfertigung einer Fingerattrappe einen noch intensiveren Eingriff dargestellt. Nach dem OLG Bremen war die Maßnahme der Polizei auch bezüglich der Bedeutung der zu schützenden Rechtsgüter angemessen. Die Revision des Mannes hatte folglich keinen Erfolg.
Trotz des Beschlusses des OLG Bremen bleibt die zwangsweise Entsperrung eines Handys durch die Polizei ein umstrittenes Thema. Für Rechtsklarheit könnte eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs sorgen.
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