Zur Zulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen


Im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses bringt die Arbeitgeberseite plötzlich neue, erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt gewordene Kündigungsgründe vor. Kann sie diese trotz fehlender Kenntnis bei Kündigungsausspruch zulässigerweise in den Prozess einführen, dadurch den ursprünglichen unzureichenden Kündigungsgrund ablösen und die Kündigung retten?

Unter welchen Voraussetzungen dieses „Nachschieben von Kündigungsgründen“ möglich ist, erläutert der nachfolgende Beitrag.

Ein anschauliches Beispiel für die eingangs dargestellte Thematik behandelt das Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 10.11.2015 (AZ: 2 Sa 235/15):

Das Gericht hatte sich mit der Frage nach der Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung zu beschäftigen. Der Kläger war von seinem langjährigen Arbeitgeber fristlos gekündigt worden, da er Verkaufsware - ein Stück Speck - im Wert von 0,80 € angebraten und teilweise verzehrt hatte. Im Rahmen des klägerseits fristgerecht eingeleiteten Kündigungsschutzverfahrens stützte die Beklagte die Kündigung zudem auf eine sexuelle Belästigung einer Mitarbeiterin aus dem Jahr 2014, von der die Beklagte jedoch erst nach Ausspruch der Kündigung erfahren hatte. Nachdem das Arbeitsgericht erstinstanzlich zunächst feststellte, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht beendet worden war, befand das LAG die Kündigung im Rahmen des Berufungsverfahrens für wirksam, da jedenfalls der sexuelle Übergriff die sofortige fristlose Kündigung rechtfertige.

Die Berücksichtigung von Umständen als wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, von welchen der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung noch gar keine Kenntnis hatte, entspricht gängiger BAG-Praxis (siehe BAG-Urteil vom 30.01.1963, AZ: 2 AZR 143/62). Die Zulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen ist indes von bestimmten Voraussetzungen abhängig:

1. Der Kündigungsgrund hat sich vor Ausspruch der Kündigung ereignet

Wichtig ist der Zeitpunkt, zu dem sich der vorgetragene Sachverhalt ereignete. Hatte er sich erst nach Zugang der Kündigung ereignet, kann er nicht zu deren Rechtfertigung herangezogen werden.


2. Kenntniserlangung nach Zugang der Kündigung 

Der Arbeitgeber darf erst nach Ausspruch der Kündigung Kenntnis von dem Vorfall erlangt haben. Ansonsten muss die Zwei-Wochen-Frist des §626 Abs. 2 BGB eingehalten werden. Nach Ablauf der zwei Wochen kann der Sachverhalt nicht mehr zur Begründung der Kündigung herangezogen werden.


3. Es ist kein Betriebsrat vorhanden, der zu dem Sachverhalt hätte angehört werden       müssen 

Nach § 102 BetrVG muss der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung angehört werden. Das Nachschieben von Kündigungsgründen bei Bestehen eines Betriebsrats ist nicht zulässig, da in diesem Fall der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist. In diesem Fall muss der Betriebsrat zu den neuen Kündigungsgründen gehört und eine neue Kündigung ausgesprochen werden.



4. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB muss beim Nachschieben von Kündigungsgründen nicht eingehalten werden 

Anders als bei Kenntniserlangung vor Ausspruch der Kündigung muss bei späterer Kenntnis nicht die Zwei-Wochen-Frist eingehalten werden. Der Sachverhalt kann auch später noch zur Begründung der Kündigung herangezogen werden. Zur Begründung führt das BAG in seiner Entscheidung vom 04.06.1997 (AZ: 2 AZR 362/96) aus, „die Zwei-Wochen-Frist soll dem Arbeitnehmer innerhalb kurzer Zeit Gewissheit darüber verschaffen, ob der Arbeitgeber einen bestimmten Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt oder nicht. Hierdurch soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber ein Mittel in der Hand hält, um den Arbeitnehmer während der weiteren Dauer des Arbeitsverhältnisses unter Druck zu setzen. Ist jedoch bereits eine Kündigung ausgesprochen, kann eine solche Situation nicht mehr eintreten“.


5. Kein sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang erforderlich

Ebenso ist kein Zusammenhang zwischen dem ursprünglichen und dem nachgeschobenen Kündigungsgrund erforderlich.



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*Aus Gründen besserer Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter