Dies habe ich kürzlich mit dem NDR-Magazin ZAPP für den Beitrag „Der Fall P. Diddy: Klicks mit Gerüchten“ besprochen.
Wie so häufig im (Medien-)recht lautet auch bei dieser Frage die Antwort: „Es kommt auf den Einzelfall an“.
Grundsätzlich bedarf das Persönlichkeitsrecht des Tatopfers in einer Berichterstattung, egal ob in den sozialen Netzwerken, im Fernsehen oder in der Zeitung, einer besonders schonenden Behandlung. Aus diesem Grund hat eine identifizierende Berichterstattung sehr zurückhaltend zu erfolgen.
Ein Recht auf absolute Anonymität gibt es aber nicht per se. Es ist immer eine einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Opfers auf der einen Seite und der Meinungs- und Pressefreiheit bzw. dem Informationsinteresse der Allgemeinheit auf der anderen Seite zu treffen.
In den meisten Fällen hat der Opferschutz zu überwiegen, weil das Opfer – im Gegensatz zum Täter – nicht freiwillig die Rechtsordnung gebrochen und damit nicht selbstbestimmt ein Interesse an seiner Person geschaffen hat.
Anders kann dies nur bei Taten sein, die z.B. wegen der Tatbegehung oder auf Grund der Person des Opfers (etwa weil sehr prominent) besonders spektakulär sind. Dann kann eine identifizierende Berichterstattung ausnahmsweise zulässig sein.
Mein Rat an Content Creator und Journalisten ist allerdings, die Identität der Opfer möglichst immer geheim zu halten. Der Pressekodex gibt hier die richtigen Vorgaben. So heißt es dazu in Richtline 8.2 zum Opferschutz:
„Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.“
Warum plädiere ich generell für eine Zurückhaltung bei identifizierender Berichterstattung? Dazu ein Extrembeispiel aus meiner Beratungspraxis:
Vor einigen Jahren habe ich ein Mädchen im Grundschulalter vertreten, welches das Opfer in einem aufsehenerregenden Missbrauchsskandals war. Darüber haben so gut wie alle Medien in Deutschland berichtet.
Ihr eigener Vater hatte sie über Jahre schwer missbraucht, Videos angefertigt und sogar anderen Männern zur Verfügung gestellt. Beim Online-Recherchieren zum Namen des Vaters ist man sofort auf die Presseartikel gestoßen, die über den Fall berichteten. Durch den seltenen Nachnamen war dabei für jeden, der unsere Mandantin bzw. ihre Familie kannte, klar, wer das Opfer ist, auch wenn natürlich der Vorname unserer Mandantin nicht genannt wurde. Dass dies für die weitere Entwicklung eines bereits schwer traumatisierten Kindes höchst problematisch ist, liegt auf der Hand. Glücklicherweise ist es uns zu Gunsten unserer Mandantin gelungen, sämtliche Spuren aus dem Internet zu entfernen.
Auch diesen Blickwinkel sollten die Medien immer beachten, wenn sie im Rahmen einer Verdachts- oder Gerichtsberichterstattung identifizierend über die Täter berichten. Eine Nennung oder Abbildung des Täters führt häufig auch mittelbar zu einer Kenntlichmachung der Tatopfer, was gerade in diesem Fall nicht passieren darf!