Von Jens-Arne Former*
Der Fall: Vom ersten Tag an "überlassen"
Stellen Sie sich vor: Max, seit über zehn Jahren als Lagerist in einer großen Automobilfirma tätig, hatte seinen Vertrag jedoch nie direkt beim Autobauer, sondern bei einer Tochtergesellschaft im selben Konzern. Für Max war das kein Problem – Hauptsache, der Lohn stimmte. Doch dann kam die Kündigung. Max wollte sich das nicht gefallen lassen. Nach all den Jahren am selben Arbeitsplatz meinte er, der Autobauer sei eigentlich sein richtiger Arbeitgeber. Und genau das sah auch das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 12.11.2024, Az. 9 AZR 13/24) ) so!
Wann ist ein Unternehmen eigentlich ein Konzern?
Was viele Arbeitnehmer und kleinere Mittelständler oft nicht wissen: Ein Konzern muss nicht zwangsläufig aus riesigen, börsennotierten Unternehmen bestehen. Sobald ein Unternehmen wirtschaftlich und rechtlich von einem anderen kontrolliert wird, kann eine sogenannte "Konzernverbindung" entstehen. Dabei kann es sich auch um Schwesterfirmen oder Tochtergesellschaften handeln, die unter einem Dach agieren – selbst wenn sie für Außenstehende wie eigenständige Firmen erscheinen. So wird es dann zur Gewohnheit, dass die Gehaltsabrechnung plötzlich von einem anderen Unternehmen der Gruppe kommt, ohne dass das jemand hinterfragt.
Der Fehler der Arbeitgeber: Dauerüberlassung ohne Plan B
Was hat das Unternehmen falsch gemacht? Es hat Max über Jahre hinweg "überlassen" – ohne Plan und ohne Rücksicht auf die Rechtslage. Im Glauben, dass das sogenannte Konzernprivileg sie schützt, stellten sie Max bei der Tochtergesellschaft ein und ließen ihn ab dem ersten Tag in der Produktion der großen Automarke arbeiten. Doch das BAG machte dem Spiel ein Ende: Das Konzernprivileg greift nicht, wenn ein Arbeitnehmer von Anfang an nur zum Zweck der Überlassung beschäftigt wird. So wurde aus der „flexiblen Konzernlösung“ ein Alptraum für den Arbeitgeber.
Warum das BAG so hart urteilte
Die Erfurter Richter machten klar: Wer das Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) umgehen will, muss sich warm anziehen! Die entscheidende Frage lautete: War Max wirklich „eingegliedert“ in den Autobauer? Hat er sich an deren Arbeitsabläufe und Weisungen gehalten? Die Antwort: Ja, und das über Jahre! Das BAG sah darin ein klares Zeichen, dass der Autobauer Max „auf Dauer“ wollte, ohne ihm einen echten Vertrag zu geben. Ergebnis: Der Autobauer muss ihn wie einen eigenen Mitarbeiter behandeln – mit allen Rechten und Pflichten!
Arbeitnehmer aufgepasst! Das sind Eure Chancen
Für Arbeitnehmer wie Max ergeben sich aus diesem Urteil spannende Möglichkeiten:
- Job trotz Kündigung sichern: Wenn Ihr Arbeitgeber versucht, Euch ohne echten Vertrag in einer anderen Gesellschaft zu parken, könntet Ihr Ansprüche gegen den tatsächlichen Einsatzbetrieb geltend machen.
- Gleichbehandlung einfordern: Arbeiten in der anderen Firma? Dann gelten die gleichen Bedingungen, wie für deren Mitarbeiter – vom Gehalt bis zum Urlaub.
- Einhaltung der Formvorschriften prüfen: Ohne die richtigen Unterlagen und Offenlegung kann die „Tochterfirma“ plötzlich zum echten Arbeitgeber werden – zu den Bedingungen, die für Stammmitarbeiter gelten!
Klare Empfehlung an Arbeitgeber
Für Unternehmen ist die Sache klar: „Einfach mal für den Konzern“ reicht nicht. Ohne klare Verträge und saubere Dokumentation wird die Dauerüberlassung schnell zum Bumerang. Das AÜG ist da unbarmherzig: Wer seine Leute „dauerhaft überlässt“, riskiert teure Konsequenzen. Vor allem in Kündigungsstreitigkeiten ist dieser Punkt entscheidend.
Fazit: Vermeintliche Flexibilität wird teuer
Das BAG-Urteil ist eine Warnung: Die vermeintliche Flexibilität in Konzernstrukturen kann ins Geld gehen, wenn die Vorgaben zur Arbeitnehmerüberlassung ignoriert werden. Arbeitgeber sollten sich auf klare, vertragliche Regeln und saubere Dokumentation einlassen. Arbeitnehmer wie Max haben nun ein wertvolles Instrument, um sich gegen willkürliche Verlagerungen und Kündigungen zu wehren.
Über den Autor und die Kanzlei LFR Wirtschaftsanwälte
Der Artikel wurde von Jens-Arne Former, Gründungspartner bei LFR Wirtschaftsanwälte und Fachanwalt für Arbeits- und Gesellschaftsrecht, verfasst. Die Kanzlei LFR Wirtschaftsanwälte in München unterstützt Unternehmer, Arbeitnehmer und mittelständische Unternehmen mit praxisnaher, rechtlicher Beratung zu allen Fragen des Arbeits- und Gesellschaftsrechts.
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