Wenn Sie als Eltern von der Polizei oder Staatsanwaltschaft Post erhalten, etwa inForm eines Anhörungsbogens oder einer Vorladung – weil ihr Kind eines Ladendiebstahls verdächtigt wird, ist die Verunsicherung oft groß. Es kommen sofort einige Fragen auf – welche rechtlichen Konsequenzen drohen und wie sollte ich mich verhalten.
Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die wesentlichen Grundlagen des Jugendstrafrechts, typische Sanktionen und Verfahrensabläufe und zeigt auf, worauf Sie als Eltern in einer solchen Situation besonders achten sollten.
Was ist Jugendstrafrecht?
Es gibt keine gesonderten Regelungen zur Strafbarkeit von Jugendlichen und das Strafgesetzbuch (StGB), das auch für Erwachsene gilt, gilt ebenso für Jugendliche. Jedoch sieht das Jugendgerichtgesetz (JGG) einige abweichende Regelungen insbesondere bezüglich der Zielsetzung der Strafe (Sanktion) vor. Dieses Gesetz gilt:
- Für Jugendliche => 14 bis 18 Jahre
- Für Heranwachsende => 18 bis unter 21 Jahre
Diese Altersgrenzen unterscheiden sich vom Zivilrecht, wo Kinder bereits ab dem 8. Lebensjahr bedingt deliktsfähig sind (§ 828 BGB).
Bei Heranwachsenden müssen gem. § 105 JGG zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein, damit das JGG anwendbar ist. Das ist der Fall, wenn der Täter zur Tatzeit nach sittlicher und geistiger Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichsteht oder die Tat jugendtypisch war. Vor Gericht wird regelmäßig die Frage gestellt, ob eine Entwicklungsverzögerung vorliegt und welche Anhaltspunkte dafür bestehen. Folgende entwicklungspsychologische Kriterien können ausschlaggebend dafür sein, dass sich der Heranwachsende noch nicht auf dem Niveau eines Erwachsenen befindet:
- Intellektuelle Reife: Fähigkeit zur abstrakten, vorausschauenden und reflektierten Denkweise
- Sittliche Reife: Fähigkeit zur Wertorientierung, Einsicht in Normen und Verantwortungsübernahme
- Emotionale Stabilität: Affektkontrolle, Selbstdisziplin, Impulssteuerung
- Soziale Integration: Schul- und Berufsausbildung, Selbstständigkeit, familiäre und soziale Bindungen
- Lebensführung: Grad an Eigenverantwortung und Selbstorganisation im Alltag
So stehen insbesondere die Heranwachsenden, die noch bei ihren Eltern wohnen oder in finanzieller Weise von diesen abhängig sind, Jugendlichen gleich. Die äußeren Rahmenbedingungen und Hintergründe sind ausschlaggebend.
Bei entwicklungspsychologisch gefestigten Heranwachsenden muss festgestellt werden, ob die Straftat Merkmale aufweist, die für jugendliche Verfehlungen typisch sind – etwa:
- impulsive oder unüberlegte Handlungen,
- Gruppenzwang oder Anpassungsdruck,
- Tatmotivation ohne nachhaltige kriminelle Energie,
- Delikte mit jugendlichem Bezug (z. B. Eigentumsdelikte, Körperverletzungen im sozialen Nahraum, Betäubungsmittelverstöße),
sodass auch in diesen Fällen das Jugendstrafrecht anwendbar ist. Diese Umstände müssen individuell im Einzelfall geprüft werden.
Welche Unterschiede gibt es zum Erwachsenenstrafrecht?
Wo es im Erwachsenenstrafrecht vor allem um Abschreckung und Vergeltung geht, steht im Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke und die individuelle Förderung des Täters im Mittelpunkt. Der Täter soll zu einem verantwortungsbewussten Verhalten erzogen werden und dadurch sollen künftige Straftaten vermieden werden. Dieser erzieherische Ansatz orientiert sich weniger an der Schwere der Tat oder der Schuld, sondern an der Persönlichkeit des Täters, seinem sozialen Umfeld und seiner Entwicklungsperspektive.
Im JGG ist ein dreistufiges Sanktionssystem vorgesehen, das zwischen Erziehungsmaßregeln (§§ 9-12 JGG), Zuchtmittel (§§ 13-16 JGG) und Jugendstrafe (§§ 17-18 JGG) unterscheidet. Dadurch erhält das Gericht deutlich mehr Möglichkeiten eine effektive, erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen zu bewirken. Es kann nahezu jede Auflage erlassen werden, die der Erziehung dienen könnte.
1. Erziehungsmaßregeln (§§ 9-12 JGG)
Diese sollen die Lebensführung durch pädagogisch fundierte Maßnahmen positiv beeinflussen. Dazu gehören Weisungen (§ 10 JGG), wie die Verpflichtung zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs oder zur Therapie, aber auch Verbote des Umgangs zu bestimmten Personen oder das Besuchen bestimmter Orte.
In diesem Rahmen kann auch Hilfe zur Erziehung (§ 12 JGG) angeordnet werden, also beispielsweise die Einbindung in sozialpädagogische Betreuungsprogramme oder stationäre Einrichtungen der Jugendhilfe.
2. Zuchtmittel (§§ 13-16 JGG)
Zuchtmittel sollen dem Jugendlichen die Grenzen des rechtlich Zulässigen aufzeigen, ohne bereits auf Freiheitsentzug zurückzugreifen, wodurch sie deutlich spürbarer als Erziehungsmaßregeln sind. Umfasst sind Verwarnungen durch das Gericht (§ 14 JGG), Auflagen (§ 15 JGG) zur Schadenswidergutmachung oder gemeinnütziger Arbeit, sowie Jugendarrest. Letzteres meint einen kurzen Freiheitsentzug von wenigen Tagen oder Wochen.
3. Jugendstrafe (§§ 17-18 JGG)
Das schärfste Sanktionsmittel ist die Jugendstrafe, also die zeitliche befristete Freiheitsstrafe. Entscheidend ist, dass diese nicht in einer normalen Justizvollzugsanstalt (JVA) mit Erwachsenen zu absolvieren ist, sondern in einer separaten Jugendstrafanstalt. Sie wird nur bei besonders schwerer Straftat verhängt oder wenn der Erziehungseffekt mit milderen Mitteln unmöglich zu erreichen ist.
Außerdem besteht die Möglichkeit, dass im Rahmen der Diversion (§§ 45, 47 JGG) auf ein förmliches Strafverfahren verzichtet oder wegen geringerer Schuld oder erfolgreicher Wiedergutmachung eingestellt werden kann. Relevant wird dies häufig bei Ersttätern oder Bagatellkriminalität, da eine rasche, außergerichtliche Intervention häufig effektiver ist als ein langwieriges Verfahren.
Das gerichtliche Verfahren nach dem JGG unterscheidet sich in einigen Punkten vom Verfahren nach der StPO. Die Jugendgerichtshilfe ist verpflichtend am Verfahren beteiligt und unterstützt das Gericht mit sozialpädagogischen Einschätzungen. Die Hauptverhandlung ist nicht öffentlich, die Eltern sollen eingebunden werden. Es gilt der Beschleunigungsgrundsatz, sodass das Strafverfahren möglichst zügig durchgeführt werden muss, um dem Erziehungsgedanken gerecht zu werden. Eine unangemessen lange Verfahrensdauer kann nach geltender Rechtsprechung zur Einstellung oder Strafmilderung führen.
Was ist Diebstahl / Ladendiebstahl?
Diebstahl ist in § 242 Abs. 1 StGB geregelt. Es macht sich derjenige strafbar, der eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, sich oder einem Dritten diese rechtswidrig zuzueignen. Ein Ladendiebstahl liegt somit vor, wenn eine Person Ware in einem Supermarkt einsteckt und den Kassenbereich ohne Bezahlung passiert.
Das Gesetz sieht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor. Oft wird bei geringwertigen Sachen, die einen Wert von 100 € nicht übersteigen eine Geldstrafe verhängt oder sogar das Verfahren eingestellt.
Womit ist zu rechnen, wenn mein Kind einen Ladendiebstahl begangen hat?
In den meisten Fällen wird es sich um geringwertige Sachen handeln. Wenn die oben genannten Voraussetzungen für die Anwendung des JGG vorliegen, ist jedoch nicht die Schwere der Schuld für die Strafe ausschlaggebend, sondern welche erzieherische Maßnahme geeignet ist, Ihr Kind von weiteren Straftaten abzuhalten. Es können auch bei sehr geringwertigen Diebstählen pädagogische Maßnahmen notwendig werden. Solange keine Vorstrafen oder erschwerenden Umstände vorliegen, ist in solchen Fällen regelmäßig nicht mit schweren strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen.
Mögliche Reaktionen können sein:
- Die sog. richterliche „Verwarnung“
- Verfahrenseinstellung, evtl. in Verbindung mit einer Entschuldigung oder Sozialstunden
- Teilnahme an einem sozialen Trainingsprogramm
- Schriftliche Entschuldigung beim Ladeninhaber
- Gemeinnützige Arbeit (sog. Sozialstunden)
- Gespräche mit der Polizei, die abschreckend wirken sollen
Lediglich bei Wiederholungstätern oder uneinsichtigen Jugendlichen kann Jugendarrest oder eine Verwarnung in Betracht kommen.
Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass viele Eltern die Erziehung ihrer Kinder nicht die Hände des Staates legen möchten. Zudem ist bei der Verrichtung von Sozialstunden mitunter zu erwarten, dass Ihr Kind in Kontakt mit anderen Kindern gerät, die möglicherweise noch größere Dummheiten im Kopf haben. Aus der Erfahrung heraus wirkt die Neigung zu Dummheiten bei Kindern und Jugendlichen ansteckend. So haben sich aus gemeinsam verrichteten Sozialstunden oft Freundschaften unter Jugendlichen ergeben, die von Eltern so nicht gewünscht werden.
Unabhängig davon sollte man einen Eintrag in den einschlägigen Registern (siehe unten) in jedem Falle verhindern. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das eigene Kind eine zweite Verfehlung leistet, die in ungünstigen Fällen – dann angesichts der Voreintragung – noch härter geahndet wird.
Wie sollte ich mich verhalten, wenn wir einen Anhörungsbogen oder eine Vorladung erhalten haben?
In solchen Fällen ist es wichtig keine voreiligen Aussagen zu tätigen. Sie und ihr Kind können jederzeit von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen (§ 136 StPO, § 67 JGG).
Ohne vorherige Einsicht der Aktenlage und Beratung mit einem Rechtsanwalt, sollten sie keine Aussage treffen und auch keine schriftliche Stellungnahme abgeben, denn eine einmal abgegebene Aussage kann nicht zurückgenommen oder geändert werden.
Durch die Möglichkeit Akteneinsicht zu nehmen kann sich ein erfahrener Strafverteidiger einen Überblick über die Vorwürfe und die Beweislage machen und anschließend mit Ihnen zusammen eine strategisch sinnvolle Einlassung formulieren.
Im Rahmen einer anwaltlich abzugebenden Stellungnahme sollte darüber hinaus stets betont werden, dass - unabhängig von der tatsächlichen Situation - ein ernsthaftes erzieherisches Gespräch mit haushaltsinternen Sanktionen stattgefunden hat und über den Umgang mit Konflikten, Emotionen und Gruppen aus Jugendlichen aufgeklärt wurde.
Was ist, wenn mein Kind ohne meine Anwesenheit polizeilich vernommen wird?
Grundsätzlich ist eine polizeiliche Vernehmung auch ohne Ihre Anwesenheit zulässig, aber nicht zwingend rechtmäßig. Sie sollten von der Polizei rechtzeitig informiert werden und Gelegenheit erhalten an der Vernehmung teilzunehmen, damit diese rechtmäßig ist. Die Aussage Ihres Kindes kann außerdem unverwertbar sein, wenn es nicht über das Schweigerecht belehrt wurde oder eine nicht altersgerechte Vernehmung erfolgt ist.
Bei einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht ohne die Eltern ist diese immer rechtswidrig und die Aussage unverwertbar.
Generell gilt, dass nur die Ladung durch die Staatsanwaltschaft zum Erscheinen verpflichtet, eine polizeiliche Ladung jedoch nicht (§ 163a Abs. 3 StPO).
Welche Auswirkung hat eine Verurteilung?
Bei einer Verurteilung besteht Sorge über Auswirkungen für die berufliche Zukunft des Kindes.
Wie lange ist die Tat für öffentliche Stellen und Dritte ersichtlich und in welchen Registern ist diese vermerkt?
1. Bundeszentralregister
In das zentrale Bundeszentralregister (BZR), das vom Bundesamt für Justiz geführt wird, werden ausschließlich Zuchtmittel und die Jugendstrafe eingetragen und nicht Diversionsentscheidungen oder Erziehungsmaßregeln. Diese Eintragungen sind lediglich für Gerichte, Staatsanwaltschaften oder bestimmte Behörden ersichtlich und werden auch nach festgelegten Fristen entfernt bzw. getilgt. Diesbezüglich gilt:
- Jugendstrafe von bis zu 1 Jahr: Tilgungsfrist 5 Jahre,
- Jugendstrafe über 1 Jahr: Tilgungsfrist 10 Jahre,
- Zuchtmittel: in der Regel Tilgung nach 5 Jahren.
2. Polizeiliches Führungszeugnis
In das einfache polizeiliche Führungszeugnis, das insbesondere für Bewerbungen bei Arbeitgebern relevant werden kann, werden lediglich Jugendstrafen über zwei Jahren eingetragen. In der Folge ist eine Eintragung bei Ersttätern sehr selten.
3. Erziehungsregister
Außerdem gibt es ein Erziehungsregister, das nur im Jugendstrafrecht relevant wird und neben dem BZR existiert. In dieses werden die Maßnahmen, die nicht ins BZR kommen aufgenommen, also Diversionsentscheidungen und Erziehungsmaßregeln. Das Erziehungsregister ist nicht öffentlich und Privatpersonen oder Arbeitgeber erhalten diesbezüglich keine Auskunft, sondern es dient lediglich der Jugendgerichtsbarkeit, um Informationen über frühere Maßnahmen zu erhalten und frühere erzieherische Reaktionen zu berücksichtigen. Von Bedeutung ist dies vor allem bei Wiederholungstätern.
Wenn innerhalb von zwei Jahren kein neues Verfahren eingeleitet wurde, werden die Einträge gelöscht, spätestens mit der Vollendung des 21. Lebensjahres wird das gesamte Erziehungsregister gelöscht.
Fazit
Im Fall eines erstmaligen, geringfügigen Ladendiebstahls durch ein jugendliches Kind ist in der Regel nicht mit einschneidenden strafrechtlichen Folgen zu rechnen. Häufig erfolgt eine Einstellung des Verfahrens oder es werden milde erzieherische Maßnahmen angeordnet. Dennoch sollten Sie die Situation ernst nehmen, von voreiligen Aussagen absehen und rechtliche Beratung in Anspruch nehmen.
Eine professionelle Verteidigung kann helfen, die bestmögliche Lösung im Interesse des Kindes zu erreichen und etwaige negative Auswirkungen auf die weitere Entwicklung oder Zukunftschancen zu vermeiden.
Und mal ehrlich – wer möchte die Erziehung des eigenen Kindes in die Hände des Staates legen? Das können Sie mit Sicherheit besser.
Als erfahrene Strafverteidiger im Bereich des Jugendstrafrechts (insb. in der Region Köln, Bonn und bundesweit) stehen wir Ihnen gerne zur Seite.
Gerne beraten wir Sie in allen Fragen rund um das Strafrecht und vertreten Sie in NRW (Bonn, Euskirchen, Sankt Augustin, Sinzig, Koblenz, Hürth etc. und im Raum Köln) sowie bundesweit. Sofern Sie bzw. Ihr Kind einen Anhörungsbogen oder eine Vorladung wegen Ladendiebstahles erhalten, kommen Sie gerne auf uns zu.
Kontaktieren Sie uns - gerne über das Kontaktformular bei anwalt.de oder über die Internetpräsenz unserer Kanzlei.
Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel stellt keine vollständige rechtliche Beratung dar und ersetzt nicht das persönliche Gespräch mit einem Anwalt.