Ein Beitrag von Fachanwältin für Arbeitsrecht Ilka Schmalenberg und Ref. jur. Melisa Softic, Nürnberg.
Schon Aristoteles bezeichnete den Menschen als „zoon politikon“ – als „gesellschaftliches Wesen“. Es liege in der Natur des Menschen, Teil einer Gesellschaft zu sein, in der er sich mit anderen Menschen über seine Vorstellungen von Recht und Unrecht austauschen könne. Selbstverständlich hat jeder eine ganz individuelle Vorstellung davon, wie die Gesellschaft aussehen sollte, was Politik so brisant und kontrovers macht. Vereinigen sich Bürger, die dieselbe politische Meinung vertreten, so entstehen Parteien, die auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken und sich für die Durchsetzung der jeweiligen Interessen im Parlament stellvertretend für das Volk, das sie wählt, engagieren. Besonders in Zeiten höchst umstrittener politischer Entscheidungen oder bevorstehender Wahlen werden die Differenzen zwischen den Weltanschauungen deutlich: Die einen bekennen sich ausdrücklich zu einer Partei, die anderen grenzen sich entschieden von bestimmten Interessenvertretungen ab.
Nicht nur im Privatleben führt dies häufig zu Konflikten, sondern auch am Arbeitsplatz. Widersprechen die politischen Ansichten des Arbeitnehmers den Werten des Unternehmens, so denkt der Arbeitgeber häufig an eine Abmahnung oder sogar Kündigung. Ob und unter welchen Umständen eine Kündigung aufgrund von widerstreitenden politischen Überzeugungen gerechtfertigt sein kann, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Kaum eine Partei wird in den Medien so vehement diskutiert wie die AfD. Insbesondere in Anbetracht der bevorstehenden Europawahl sprechen sich aktuell viele Arbeitgeber, darunter große Unternehmen wie Mercedes-Benz, Daimler oder Bosch, öffentlich gegen die AfD aus und stellen klar, welche Werte sie stattdessen vertreten. Arbeitgeber sind genauso wie Arbeitnehmer berechtigt, ihre Meinung frei zu äußern, denn die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, dass jedermann zusteht. Dass dabei besonders innerhalb eines Unternehmens mit vielen Betriebsangehörigen gelegentlich zwei gänzlich gegensätzliche Standpunkte vertreten werden, ist unvermeidbar. Doch nicht in jedem Fall kann die Kündigung gegen einen Mitarbeiter, der nicht die Werte des Betriebs teilt, ausgesprochen werden, denn eine politische Aktivität bzw. Parteimitgliedschaft ist für sich genommen eine private Angelegenheit und darf keinen Einfluss auf das Beschäftigungsverhältnis haben.
Etwas anderes gilt allerdings, wenn die politische Orientierung eines Mitarbeiters den Betriebsfrieden innerhalb des Unternehmens nachhaltig stört. Hierbei ist der Kontext entscheidend: Eine politische Unterhaltung in der Mittagspause wird den Betriebsfrieden in der Regel kaum gefährden, wohingegen eine aggressive und penetrante politische Beeinflussung anderer Mitarbeiter durchaus zu andauernden Auseinandersetzungen und Konflikten innerhalb des Betriebs führen kann. Ein Bezug zum Arbeitsverhältnis ist überdies zu bejahen, wenn sich der Arbeitnehmer in Arbeitskleidung oder Dienstuniform öffentlich politisch äußert.
Bei gewissen Arbeitgebern, die bekanntermaßen bestimmte Werte nach außen hin repräsentieren, werden jedoch strengere Anforderungen an das politische Verhalten der Arbeitnehmer gestellt. So ist beispielsweise Sinn und Zweck der Kirche, christliche Werte zu vertreten und zu realisieren. Gerade das macht die Kirche im Kern aus. Ein Arbeitnehmer, der diese Werte entschieden ablehnt und eine gegenteilige Auffassung vertritt, läuft dem Sinn und Zweck der Kirche zuwider, sodass eine Einstellungsverweigerung oder sogar Kündigung hierauf gestützt werden kann.
Was gilt im Beamtenverhältnis?
Dieser Gedanke kann auch auf das Arbeitsverhältnis zwischen Beamten und Staat übertragen werden. Beamte unterliegen nämlich als Repräsentanten des Staates einer erhöhten Verfassungstreuepflicht. Der Staat basiert auf der Verfassung, sodass er sich durch eine Einstellung von Arbeitnehmern, die die Verfassung ablehnen oder entsprechende Gruppierungen unterstützen, selbst von innen heraus schwächen und widersprechen würde. Deshalb wird von Beamten ein erhöhtes Maß an aktivem Bekenntnis zur Verfassung verlangt, das heißt zur freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung.
Gibt es Besonderheiten im Tarifrecht?
Ähnliches gilt in abgemilderter Form für Tarifbeschäftigte, die auch der Verfassungstreuepflicht unterliegen, jedoch lediglich nicht den Staat und die Verfassungsordnung angreifen dürfen. Allerdings heißt das nicht, dass ein Tarifbeschäftigter automatisch gekündigt werden darf, weil er beispielsweise eine Partei wie die AfD wählt, die in Teilen extremistisch ist. Vielmehr muss sich der konkrete Arbeitnehmer tatsächlich extremistisch verhalten. Das wird selbst dann gefordert, wenn die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Wurde die Partei aber vom Verfassungsschutz verboten, dann begeht man durch eine Mitgliedschaft in dieser Partei eine Straftat nach § 84 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (StGB), was durchaus einen legitimen Kündigungsgrund darstellen kann.
Abschließend lässt sich sagen, dass die individuellen politischen Ansichten grundsätzlich eine private Angelegenheit darstellen. Ausnahmen hiervon sind an besondere und strenge Voraussetzungen geknüpft. Dieser Gedanke findet sich auch im Grundgesetz (GG) wieder: Unser Wahlsystem fußt neben den anderen in Art. 38 GG genannten Prinzipien auf der Freiheit der Wahl. Das bedeutet, dass alle Wähler frei entscheiden können müssen, wen oder wen sie nicht wählen, und zwar frei von unzulässigen Beeinflussungen und Zwang von außen. Die Entscheidung muss dem wirklichen Willen des Wählers entsprechen. Könnten Arbeitnehmer so einfach mit einer Kündigungsandrohung unter Druck gesetzt werden, würde dies dem Grundsatz der Freiheit der Wahl, der als essentieller Grundpfeiler unsere Demokratie trägt und gewährleistet, widersprechen. Außerdem kommt eine Strafbarkeit wegen Wählernötigung gemäß § 108 StGB in Betracht. Auch das Prinzip der Geheimheit der Wahl spielt hier eine Rolle, denn der Arbeitgeber muss niemandem, besonders nicht dem Arbeitgeber mitteilen, wen er wählt, selbst wenn der Arbeitgeber den Verdacht hegt, dass die Ansichten des Mitarbeiters nicht mit der Unternehmenskultur vereinbar sind. Hier genießt richtigerweise die Gewährleistung der Demokratie den Vorrang.