BGH Urteil (BGH VI ZR 230/23 vom 10.12.2024) zum Vorwurf der zumindest bedingt vorsätzlichen Verbreitung falscher Informationen im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung mit einem Presseartikel. Bezeichnungen als  "Nachrichtenfälscher" "Fake-News-Produzent", "Falschmeldungen zu Propagandazwecken" und Verbreitung einer "offenkundigen Lügengeschichte" zulässig,

Der Kläger, ein Journalist, veröffentlichte auf der von der Klägerin betriebenen Nachrichtenseite einen Artikel über ein siebenjähriges Mädchen aus Aleppo, das über Twitter über die Kriegsereignisse berichtete. Der Beklagte, Betreiber einer alternativen Nachrichtenseite, zweifelte die Echtheit dieser Berichte an und kritisierte die Berichterstattung scharf. In zwei Online-Artikeln bezeichnete er den Kläger unter anderem als „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzenten“ und warf ihm vor, bewusst Falschinformationen zu Propagandazwecken zu verbreiten. Die Kläger sahen darin eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts und klagten auf Unterlassung. Während die Vorinstanzen die Äußerungen als unzulässige Tatsachenbehauptungen werteten und verboten, kam der BGH in der Revision zu einem anderen Ergebnis und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf.

Die Kläger sahen sich durch die Bezeichnungen u.A. als „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzent“ in ihrer Ehre und beruflichen Reputation verletzt. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt, da sie die Äußerungen als unzulässige Tatsachenbehauptungen einstuften, für die der Beklagte eine Beweislast nach § 186 StGB treffe. Der BGH hingegen bewertete die streitigen Aussagen als Werturteile, die vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG erfasst sind. Eine Meinungsäußerung kann nur eingeschränkt werden, wenn sie als Schmähkritik oder Formalbeleidigung einzustufen ist oder die Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht zu ihren Ungunsten ausfällt. Im vorliegenden Fall sah der BGH eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Schlussfolgerungen des Beklagten gegeben und stellte fest, dass die Kläger die kritische Berichterstattung hinnehmen müssen.

Ein zentraler Aspekt des Urteils ist die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen, insbesondere im Kontext der kritischen Auseinandersetzung mit einem Presseartikel. Während Tatsachenbehauptungen einer Beweisführung zugänglich sind und auf ihre Wahrheit hin überprüft werden können, sind Werturteile durch die Meinungsfreiheit umfassender geschützt. Der BGH stellte klar, dass die streitgegenständlichen Äußerungen des Beklagten nicht als rein objektive Feststellungen, sondern als Schlussfolgerungen aus bestimmten Beobachtungen und Indizien zu verstehen seien. Anders als bei Tatsachenbehauptungen kommt es bei einem Werturteil nicht darauf an, ob es nachweislich „wahr“ oder „unwahr“ ist. Entscheidend ist vielmehr, ob es auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht oder ob es sich um eine willkürliche, aus der Luft gegriffene Anschuldigung handelt. Besonders relevant war in diesem Zusammenhang der Vorwurf der „bewusst falschen Berichterstattung“ durch den Kläger, also die Unterstellung, er habe wissentlich oder zumindest billigend in Kauf nehmend Falschinformationen verbreitet. Solche Aussagen bewegen sich mit dem BGH an der Grenze zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil, da sie nicht nur eine subjektive Bewertung enthalten, sondern zugleich eine innere Tatsache – nämlich eine absichtliche Täuschung – suggerieren. Der BGH betonte jedoch, dass auch diese Einschätzung des Beklagten nicht isoliert, sondern im Gesamtzusammenhang betrachtet werden müsse. Die Kritik an der Berichterstattung des Klägers ergab sich aus konkreten Anhaltspunkten, darunter die Zweifel an der Authentizität der zitierten Twitter-Nachrichten und an den Rahmenbedingungen, unter denen sie entstanden sein sollen. Da der Beklagte seine Schlussfolgerungen aus diesen Beobachtungen herleitete und für den Leser nachvollziehbar machte, handelte es sich nicht um eine haltlose Verleumdung, sondern um eine durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützte Bewertung.

Der BGH stellte hinsichtlich der Bezeichnungen „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzent“ klar, dass diese Bezeichnungen im vorliegenden Fall nicht so zu verstehen sind, als habe der Kläger selbst Unwahrheiten erfunden oder manipulierte Inhalte generiert. Vielmehr ergebe sich aus dem Gesamtzusammenhang der streitigen Veröffentlichungen, dass dem Kläger nicht die Urheberschaft falscher Informationen, sondern die unkritische Weiterverbreitung einer zweifelhaften Geschichte vorgeworfen wurde. Dies ergebe sich - so der BGH - unter anderem daraus, dass der Beklagte betone, dass der Kläger einen „haarsträubenden Fake“ verbreitet habe, den auch zahlreiche andere Journalisten aufgegriffen hätten. Insofern konnte der Beklagte seine Kritik an der Berichterstattung als zulässiges Werturteil darlegen, ohne den Kläger direkt der Erfindung falscher Nachrichten zu bezichtigen.

Der BGH macht deutlich, dass sich Akteure der öffentlichen Berichterstattung einer kritischen Überprüfung ihrer Arbeit stellen müssen. Nur solange Kritik tatsächlich auf nachvollziehbaren Tatsachen basiert und im öffentlichen Diskurs eingebettet ist, kann sie nicht ohne Weiteres unterbunden werden. Wer mit diffamierenden Aussagen im Internet konfrontiert wird oder sein Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigen möchte, sollte frühzeitig eine spezialisierte Anwaltskanzlei hinzuziehen. Unsere Kanzlei steht Ihnen mit Expertise und strategischer Beratung zur Seite, um Ihre Interessen bestmöglich zu wahren.

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