Keine vorschnelle Einlassung ohne Verteidigung und Akteneinsicht!

Man kann es nicht oft genug sagen: wer sich als Beschuldigter gegenüber der Polizei bzw. Ermittlungsbehörde einlässt, geht ein sehr hohes Risiko ein, sich ungewollt selbst zu belasten und die eigene Situation deutlich zu verschlechtern. Viele Verfahren würden eingestellt werden, wenn die Beschuldigten "einfach den Mund halten würden".

Obwohl darüber und über die Rechte eines Beschuldigten immer wieder berichtet wird, zeigt die praktische Tätigkeit als Strafverteidiger regelmäßig, dass die Bevölkerung in weiten Teilen - unabhängig vom Bildungsstand oder Beruf - nach wie vor in einer solchen Situation meist ungeschickt agiert. Aus unterschiedlichen Gründen, z. T. aus Unkenntnis oder Naivität, suchen Menschen, denen eine Straftat vorgeworfen wird, die schnelle Kooperation mit der Polizei. Damit geht mitunter die (objektiv meist unbegründete) Hoffnung einher, im polizeilichen Vernehmungsbeamten einen "Fürsprecher" für die eigene Position und Erklärung zu finden, wodurch dieser das Verfahren noch günstig beeinflussen könne. Nach dem Motto: Wer kooperiert, dem glaubt man eher. Und außerdem: "Ich habe ja nichts zu verbergen"! Manche meinen gar, mit "Ehrlichkeit" komme man am Weitesten. Nur lässt sich in einer solchen Situation für die Polizeibeamten in der Regel gar nicht ohne weiteres feststellen, wer die Wahrheit sagt und wer nicht.

Viele sind sich ihrer Rechte gar nicht bewusst, fühlen sich durch die Anwesenheit mehrerer uniformierter Polizisten zu einer Aussage gedrängt bzw. in Erklärungsnot und glauben, sich unbedingt äußern zu müssen, weil ein Schweigen die Sache noch schlimmer machen werde.

Dabei ist klar: die Polizei ist im Verhältnis zu einem Beschuldigten als staatliche Ermittlungsbehörde tätig. Es gibt bereits mindestens einen Anfangsverdacht, sonst wäre man nicht Beschuldigter. Dieser Verdacht stützt sich in der Regel auf vorhandene Beweismittel, welche der Beschuldigte zunächst nicht kennt und auch in seiner Vernehmung nicht vollständig erfährt. Wie soll man in einer solchen Situation beurteilen, welche Aussagen und Antworten sinnvoll, glaubhaft und überzeugend sind? Ein Beschuldigter ist in keiner Weise in der Lage, selbst und eigenständig seine Situation sachgerecht einzuschätzen. 

Es kann jeden treffen!

Gewalt- und Bandenkriminalität, Drogenhandel oder andere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Waffendelikte, Sexualdelikte, Diebstahl, Betrug – laut polizeilicher Kriminalstatistik gibt es eine hohe Zahl von Ermittlungsverfahren wegen unterschiedlichster Delikte und somit bei Ermittlung eines Tatverdächtigen entsprechend viele Beschuldigte. Wer jedoch meint, nur vermeintlich „echte“ Straftäter geraten ins Visier der Ermittlungen, der irrt.

Es geht ganz schnell. Etwa im Straßenverkehr: wird durch einen Unfall jemand verletzt oder getötet, wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, obwohl die „Schuld eines Beteiligten am Unfall“ zu diesem Zeitpunkt oft nicht geklärt ist. Ebenso beim Verdacht der Unfallflucht – obwohl der Fahrer die Kollision vielleicht nicht bemerkt hat, ja sogar mangels visueller, akustischer oder taktiler Wahrnehmbarkeit nicht einmal bemerken konnte. Führerscheinentzug und Geld- oder Freiheitsstrafe drohen.

Geschäftsführer geraten in Verdacht, wenn die Betriebsprüfung Unregelmäßigkeiten (Verdacht der Steuerhinterziehung) ergibt oder ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht rechtzeitig gestellt wurde.

Risiken lauern auch im Internet. Datenklau und Identitätsdiebstahl lassen grüßen. Unbedachte Äußerungen auf Social Media im Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten führen zu Anzeigen wegen Beleidigung, usw. Die Liste an Beispielen ließe sich beliebig fortführen.

Rechte des Beschuldigten

Wie aber soll sich ein Beschuldigter verhalten, um seine Situation nicht weiter zu verschlechtern? Meist eröffnet die Polizei den Tatvorwurf. Dabei hat sie den Beschuldigten über seine Rechte zu belehren. Hierzu gehören das Recht, die Aussage zu verweigern sowie das Recht, in jeder Lage des Verfahrens einen Verteidiger hinzuzuziehen. Davon sollte immer Gebrauch gemacht werden, egal ob man sich schuldig oder unschuldig fühlt.

Mitgeteilt werden sollten nur die Personalien, jedoch keine Angaben zur Sache. Es droht eine ungewollte Selbstbelastung, zumal die Beweislage unklar ist. Jede Vernehmung bedeutet für den meist unerfahrenen Beschuldigten Stress und Aufregung. Dies führt zu Fehleranfälligkeit infolge schlechter Konzentration. Schnell vergisst man etwas unter dem Druck der Vernehmung, und die Aussage wird ungewollt unvollständig. Oder man erinnert sich schlicht falsch, später fällt es einem wieder ein, wie es wirklich war. Nachträgliche (auch wahrheitsgemäße) Ergänzungen erscheinen dann aus Sicht der Ermittlungsbehörde vielleicht unglaubhaft, "weil man es ja nicht sofort so gesagt hat". Deswegen gilt zunächst für jeden Beschuldigten die im Eigeninteresse zu beachtende Grundregel: Schweigen ist Gold!

Sodann sollte so frühzeitig wie möglich ein Verteidiger, idealerweise ein Fachanwalt für Strafrecht, kontaktiert werden. Dieser wird Akteneinsicht nehmen, die Beweislage gründlich prüfen und mit dem Beschuldigten erörtern und anschließend eine individuelle Verteidigungsstrategie entwickeln.

Erklärungen zur Sache sollten somit ausschließlich über die Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft  erfolgen (soweit nicht ausnahmsweise, etwa bei Untersuchungshaft, schon frühzeitig auch das Gericht eingebunden ist). Nur die Staatsanwaltschaft nimmt nach Abschluss der Ermittlungen die sog. Abschlussverfügung vor und ist z. B. für die Einstellung eines Strafverfahrens oder die Anklageerhebung zuständig. Daher brächte es keinen Vorteil, sich vorab gegenüber der Polizei zu äußern. Wie weiter verfahren wird und wie die Aussage des Beschuldigten gewürdigt werden wird, entscheidet im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht die Polizei, sondern allein die Staatsanwaltschaft. Diese ist damit in der Regel der richtige Adressat von Stellungnahmen der Verteidigung. Der Verteidiger prüft in jeder Lage des Verfahrens, wem gegenüber welche Stellungnahme sinnvoll und erfolgversprechend erscheint.

FAZIT: Wer nach Eröffnung eines Tatvorwurfs einen kühlen Kopf bewahrt, diese Hinweise beachtet und für sich den passenden Strafverteidiger findet, sichert bestmöglich seine Chancen auf ein optimales Verfahrensergebnis.

Rechtsanwalt Martin Doss, Fachanwalt für Strafrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Weiden i. d. Opf.