Arbeitnehmer/innen müssen in der Regel bei einer Erkrankung von mehr als drei Tagen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) vorlegen, um eine Fortzahlung des Entgelts durch den/die Arbeitgeber/in zu bewirken. Wie sieht es aber aus, wenn der/die Arbeitgeber/in Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit seines/seiner Beschäftigten hat? Kann der/die Arbeitgeber/in den Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttern?

1.  Die AU-Bescheinigung als Beweismittel

Um von der Lohnfortzahlung nach EFZG profitieren zu können, muss der/die Arbeitnehmer/in die Arbeitsunfähigkeit darlegen und beweisen gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Der Beweis der Arbeitsunfähigkeit wird regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen AU-Bescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Dieser kommt ein hoher Beweiswert zu. Sie ist Privaturkunde gem. § 416 ZPO und begründet zwar keine gesetzliche Vermutung gem. § 292 ZPO, dass der Arbeitnehmer tatsächlich krank ist, allerdings kommt ihr die Wirkung einer tatsächlichen Vermutung zu. Der/die Arbeitgeber/in kann den Beweiswert dementsprechend bereits erschüttern, indem er/sie Tatsachen vorträgt, die ernsthafte und objektiv begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit entstehen lassen. Einfaches Bestreiten reicht hier nicht aus.

Hierbei kann sich der/die Arbeitgeber/in an den in § 275 Abs. 1 a SGB V aufgelisteten Gründen orientieren, welche Zweifel an der AU-Bescheinigung entstehen lassen können:

  • Der/die Arbeitnehmer/in ist auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig, oder
  • der Beginn der Arbeitsunfähigkeit fällt häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche, oder
  • die Arbeitsunfähigkeit von einem/einer Arzt/Ärztin festgestellt worden ist, der/die durch die Häufigkeit der von ihm/ihr ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.

Darüber hinaus können sich den Beweiswert erschütternde Tatsachen auch aus dem eigenen Sachvortrag des/der Arbeitnehmers/in (BAG, Urt. v. 26.10.2016, 5 AZR 167/16 Rn. 18, BAGE 157,102), der AU-Bescheinigung selbst (BAG, Urt. v. 08.09.2021, 5 AZR 149/21) oder Verstößen des/der behandelnden Arztes/Ärztin gegen die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ergeben (BAG, Urt. v. 28.6.2023, 5 AZR 335/22). Diese Aufzählung ist jedoch mitnichten abschließend und auch anderweitige Umstände können vorgetragen werden, um den Beweiswert der AU-Bescheinigung zu erschüttern.

Problematisch ist es, dass der/die Arbeitgeber/in in der Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur im eingeschränkten Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung der AU-Bescheinigung vorzutragen. Da die AU-Bescheinigung jedoch weder eine gesetzliche Vermutung noch eine Beweislastumkehr statuiert, dürfen an den Vortrag des/der Arbeitgebers/in laut BAG keine überhöhten Anforderungen, auch in Hinblick auf o.g. gestellt werden.

2.  Sonderfall: Die Krankmeldung nach Kündigung

Eine Besonderheit ergibt sich, sofern zwischen der AU-Bescheinigung, der Kündigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses ein zeitlicher Zusammenhang besteht, wie das BAG in einem Urteil vom 13.12.2023 (BAG Urt. v. 13.12.2023, 5 AZR 137/23) erneut bestätigt hat. Dies ist der Fall, wenn die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar nach dem Zugang der Kündigung bei dem/der Arbeitnehmer/in erfolgt und sich zeitlich bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses zieht. Sofern der/die Arbeitnehmer/in unmittelbar darauf wieder arbeitsfähig wird, bestehen ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit des/der Arbeitnehmers/in, welche die Beweiswirkung der AU-Bescheinigung erschüttern können.

Irrelevant ist hierbei, ob es sich um eine Kündigung seitens des/der Arbeitgebers/in oder des/der Arbeitnehmers/in handelt.

3.  Fazit: Es kommt auf den Einzelfall an

Die AU-Bescheinigung ist ein wichtiges Beweismittel für den/die Arbeitnehmer/in seine/ihre Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. Bei Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit sollte zunächst ein Gespräch mit dem/der jeweiligen Beschäftigen gesucht werden, um etwaige Missverständnisse oder Unklarheiten aufzuräumen. Sofern sich die Zweifel verstärken, sollte rechtlicher Rat eingeholt werden. Es ist durchaus möglich den Beweiswert der AU-Bescheinigung zu erschüttern, allerdings richtet sich dies nach den Umständen des Einzelfalls und kann nicht generalisiert betrachtet werden. Eine vorschnelle Kündigung oder Kürzung des Entgelts kann auch erhebliche Konsequenzen für den/die Arbeitgeber/in haben.

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